Die englische Version gibt es hier.
Über 700 auf der Datenbank www.borderviolence.eu(*) veröffentlichte Berichte dokumentieren die Erfahrungen von insgesamt über 7.000 Schutzsuchenden, die in den letzten Jahren rechtswidrig aus Kroatien ausgewiesen wurden. Bei vielen dieser sogenannten Pushbacks wurden die Betroffenen sogar über mehrere Ländergrenzen hinweg aus der EU nach Serbien oder Bosnien-Herzegowina abgeschoben. In 80% der Fälle finden sich Hinweise auf unverhältnismäßige Gewaltanwendung bis hin zu Fällen von Folter und erniedrigende Behandlung durch kroatische Beamt*innen und 38% der Betroffenen sind minderjährig. Für tausende Schutzsuchende, die über Griechenland weiter nach West- und Zentraleuropa fliehen wollen, stellt die Balkanregion eine von der EU gewollte Sackgasse dar.
Misshandlungen durch kroatische Polizei
Die Misshandlungen durch kroatische Grenzpolizist*innen nehmen zunehmend extremere Ausmaße an. Anfang Juni 2020 berichtete Amnesty International über kroatische Polizist*innen, die unter Gelächter Ketchup und Mayonnaise in die den Schutzsuchenden zugefügten Kopfwunden geschmiert haben. Diese waren gefesselt, wurden immer wieder geschlagen und mussten sich im Anschluss verwundet nach Bosnien-Herzegowina zurück schleppen. Derartige Folter und der fast unmögliche Zugang zu Asyl in Kroatien haben sich als Grenzschutz mittlerweile normalisiert.
Pushbacks in Zeiten von Covid-19
Die Systematik dieser Pushbacks machte auch vor den Covid-19 bedingten Infektionsschutzmaßnahmen nicht halt: Trotz der Grenzschließungen und Kontaktbeschränkungen gehörten Pushbacks über mehrere Ländergrenzen weiterhin zum Alltag der kroatischen Behörden. Dass Schutzsuchende in Bosnien-Herzegowina und Serbien dabei in überfüllte, unter Quarantäne stehende Lager gebracht wurden, spielte genauso wenig eine Rolle wie die potentielle Ansteckungsgefahr durch kroatische Polizeibeamt*innen. Covid-19-Infektionen in einem von etwa 200 Beamt:innen bewohnten Hotel nahe der Grenzregion in Topusko, wurden nicht weiter verfolgt, obwohl die Beamt:innen täglich im Rahmen von Pushback-Operationen in Kontakt mit Asylsuchenden waren. Die Infektion vulnerbaler Schutzsuchender und die Verbreitung des Virus, ohne die Möglichkeit Infektionsketten nachzuvollziehen, werden billigend in Kauf genommen.
Trotz der zahlreichen Medien- und NGO-Berichte, die das Gegenteil belegen, leugnet die kroatische Regierung seit Jahren vehement die Existenz der illegalen Pushbacks, so etwa der kroatische Premierminister Andrej Plenković zum Auftakt der kroatischen Ratspräsidentschaft im EU-Parlament im Januar 2020 oder der kroatische Innenminister in Reaktion auf einen kritischen Artikel der britischen Zeitung “The Guardian”, der im Mai 2020 veröffentlicht wurde.
Untersuchungen von Seiten der Europäischen Kommission oder die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens blieben bisher aus, obwohl genau dies als “Hüterin der Verträge” ihre Aufgabe wäre. Stattdessen gab Brüssel Kroatien trotz – oder gerade wegen – der Menschenrechtsverletzungen grünes Licht für den Schengenbeitritt. Die dafür geforderten Standards zum Grenzschutz werden zum Großteil aus EU Mitteln finanziert, zuletzt zusätzlich mit €6,8 Mio. Und obwohl für die Auszahlung der Gelder die Einrichtung eines Monitoring Mechanismus verpflichtend war, hat die Europäische Kommission dessen Fehlen nicht nur ignoriert sondern sogar zu vertuschen versucht.
Welche Rolle spielt Deutschland?
Die Bundesregierung bestreitet Kenntnisse über die systematischen Menschenrechtsverstöße der kroatischen Polizei zu haben und verweist auf die Zuständigkeit der Europäischen Kommission. Im Jahr 2018 würdigte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Vorgehen der kroatischen Sicherheitskräfte sogar als »herausragende Arbeit« und Innenminister Seehofer überreichte im Januar 2020 Überwachungsausrüstung für den Grenzschutz an Kroatien. Auch weitere deutsche Politiker:innen äußerten sich in der Vergangenheit immer wieder positiv zu den sicherheitspolitischen Entwicklungen in Kroatien und sprachen sich für einen Schengenbeitritt aus. Weiterhin beteiligt sich Deutschland an Frontex-Trainingsmissionen für kroatische Grenzschutzbeamt:innen, zuletzt im Dezember 2019 in Sankt Augustin und im Februar 2020 in Valbandon in Kroatien. All dies unterstützt das kroatische Vorgehen und führte sogar dazu, dass der kroatische Innenminister Davor Božinović Deutschland als wertschätzenden Partner in Sachen Grenzschutz bezeichnete.
Bei dem brutalen Vorgehen an Kroatiens Grenzen handelt es sich nicht um ein nationales Phänomen, sondern um die Durchsetzung einer auf Gewalt und Abschreckung basierenden Flüchtlings- und Migrationspolitik der EU. Fünf Jahre nach dem »March of Hope« aus Budapest fordern die unterzeichnenden Menschenrechtsorganisationen und Aktivistengruppen die Bundesregierung dazu auf, sich während der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands für ein Ende der Gewalt gegen Schutzsuchende und die Einhaltung des Rechts auch an den EU Außengrenzen einzusetzen und die massiven und bestens dokumentierten Menschenrechtsverletzungen nicht länger zu unterstützen und zu tolerieren.
Forderungen:
- Schutzsuchende in der Westbalkanregion dürfen nicht vergessen werden. Ihr Recht auf Asyl in der EU muss gewährleistet werden.
- Die menschenrechtsverletzenden Grenzpraktiken Kroatiens müssen von der Bundesregierung als solche benannt und klar verurteilt werden. Jegliche materielle Unterstützung des kroatischen Grenzschutz von Seiten der Bundesregierung muss unterbunden werden.
- Die Gewalt muss ein Ende haben. Als »Vermittler« zwischen den Institutionen muss Deutschland die Ratspräsidentschaft nutzen, um die Bestrebungen des Europäischen Parlaments zu bestärken und sich für ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Kroatien angesichts der systematischen Pushbacks einzusetzen.
- Zudem sollte die Westbalkanregion im aktuellen Gespräch über die Evakuierung der Hotspots auf den ägäischen Inseln als Teil des weitreichenderen Problems des gescheiterten EU-Türkei-Deals und der Dublin-III-Verordnung verstanden und eine Umsiedlung der Flüchtenden aus Bosnien-Herzegowina und Serbien mitbedacht werden.
Unterzeichner*innen aus dem Border Violence Monitoring Network(*)
*Das Border Violence Monitoring Network ist ein gemeinsames Projekt verschiedener NGOs. Seit Dezember 2017 dokumentiert die Website www.borderviolence.eu Push-Backs und Polizeigewalt an den EU-Außengrenzen im Balkan mit dem Ziel, die Systematik hinter den Einzelfällen zu zeigen und Druck auf die verantwortlichen Akteure auszuüben.
Andere Unterzeichner*innen: